home * biography * choreographies * links * photographs * media * contact
LEIPZIGER BALLETT: "SCHOLZ NOTIZEN"
Inszenierung und Choreografie: Uwe Scholz
Raum und Kostüme: rosalie
Licht: Michael Röger
Gewandhausorchester
Musikalische Leitung: Robert Reimer
Leipziger Ballett
Ein Leipziger Ballettabend im Widerspruch zwischen Begeisterung und Einspruch
___ Das Geschehen auf der Bühne ist beendet. Der letzte Ton von Schuberts großer C-Dur-Sinfonie verklingt im Raum. Da senkt sich der Vorhang. Beifall kommt auf, übertönt von Bravorufen. Im vollen Scheinwerferlicht verneigen sich auf der Leipziger Opernbühne Solistinnen, Solisten und Corps de Ballet vor ihrem Publikum. Die Ballerina holt den Dirigenten Robert Reimer, der erste Solotänzer führt rosalie auf die Bühne. Der Applaus schwillt an. Die Bravos vermehren sich. Jetzt warten alle auf den Choreografen Uwe Scholz. Indes: Das Warten zieht sich hin. Die Zuschauer verfallen hierauf in rhythmisches Klatschen. Doch Scholz ist nicht zu sehen. Er kommt auch nicht. Es ist bereits die dritte Ballettpremiere, der er sich verweigert. ___
___ VON DR. JOACHIM REISAUS ___
___ An dieser Stelle steht der Rezensent vor einem Problem: Soll er über Personalpolitik schreiben oder die Aufführung besprechen? Er entscheidet sich für eine kritische Würdigung der "Scholz Notizen". ___
___ Das Plakat von rosalie auf allen Straßen der Stadt in Rosa, Grün und Weiß schürte hohe Erwartungen. Und in der Tat: Es entstand dank dieser Künstlerin eine der schönsten Bühnengestaltungen, die Leipzig zur Zeit aufzuweisen hat. ___
___ Das Auge kann sich nicht satt genug trinken an den unübertroffenen Farbkombinationen, es ergötzt sich an dem Formenreichtum der Dekorationsstücke, an der Lichtregie (Licht: Michael Röger), die eine Illusion nach der anderen hervorzaubert, und erfreut sich nicht zuletzt an den Kostümen, dem Kontrapunkt zur Szenerie. Angeregt von Naturobjekten, aber auch von Gestaltungen der Technik, erstellte rosalie keine Nachschöpfungen, sondern Neuschöpfungen von hoher Poesie. Wie überhaupt das poetische Element in dieser Bühnenproduktion dominiert, schon deshalb, weil Scholz zu Rezitationen von Rilkegedichten tanzen lässt. ___
___ Kongenial zur Bühnengestaltung verhalten sich die Leistungen aller Solistinnen und Solisten sowie des gesamten Ballettkorps. Diese Aussage gilt uneingeschränkt. ___
___ Wie gesagt, die Produktion ist überschrieben mit "Scholz Notizen". Vielleicht hätte sie treffender mit "Kaleidoskop" im Sinne eines lebendig-bunten Bilderwechsels betitelt werden sollen, auch deshalb, um nebenher nicht solche Assoziationen wie Schreibtisch, Terminkalender, Vermerk, Zettelkartei aufkommen zu lassen. Kurz und gut, gegen die Aneinanderreihung choreografischer Uraufführungen in der Weise, wie Scholz sie vornimmt, ist an und für sich nichts einzuwenden, lenken doch täglich Fernsehspots und Videoclips das Schaubedürfnis in eine ähnliche Richtung. Nicht umsonst werden Theateraufführungen heutzutage sehr kurz gehalten. ___
___ Hochgespannte Schauerlebnisse, sowohl in choreografischer als auch in tänzerischer Hinsicht, vermittelten die ersten 35 Minuten vor der dreißigminütigen Pause. Die Musikauswahl, die dabei zum Einsatz kam (von Mahler über den Minimalmusiker Philip Glass, über Nusrat Fateh Ali und Peter Gabriel, Humperdincks Abendsegen, über den islamischen Spiritualismus der Anglo-Inderin Sheila Chandra, über die Integration von Naturlauten in der Musik John Cages bis hin zu Martyn Bennets Chanter) verblüffte mit positivem Effekt. ___
___ Nach der Pause ging es mit dem Liebestod von Wagners Isolde im Arrangement von Uri Caines zunächst in diesem Sinne weiter. Die Szene, hingebungsvoll getanzt von Sibylle Naundorf und Christoph Böhm, spiegelte die Atmosphäre am Lido von Venedig. Danach aber brach das Bühnenkonzept zusammen. Obwohl von Yokozeki herausragend getanzt, expressiv und überzeugend (Keine Abstriche!), erschienen die vier Notations nach der Musik von Pierre Boulez im Kontext der bis hierher verfolgten Dramaturgie zu lang, zu unproportioniert, wodurch auch die Titelung des gesamten Abends in Frage gestellt wurde. Händels "Care selve" in der seelenvollen Gestaltung von Kiyoko Kimura fing diese Missproportion wieder auf. Aber dann kam es ohne Vorahnung und völlig zusammenhanglos im Hinblick auf die innere Struktur des Gesamten plötzlich und unerwartet zum Finale. Das Publikum wurde davon förmlich überrumpelt. Demzufolge wirkte auch die Politisierung (Sparzwang) im Finale aufgesetzt, befremdlich, höchst dilettantisch, an Agitprop erinnernd. Man merkte die Absicht (vielleicht auch nicht) und war verstimmt. ___
___ Hieß es noch in der Ballettwerkstatt, nach der Pause übernimmt das Gewandhausorchester die musikalische Begleitung, die bis dahin vom Band kam, so blieb davon lediglich das Finale aus Schuberts 8. Sinfonie übrig, neben den Disproportionen im zweiten Teil ein weiterer Beweis dafür, dass der Choreograf wieder einmal nicht fertig geworden war. ___
___ Trotz dieser Einwände, die durchaus nicht kleingeredet werden sollen, ist das, was die Bühne zeigt, ein Fest der Sinne, dessen Besuch sich lohnt, schon deshalb, weil hier das künstlerische Bestreben mit postmodernen Mitteln der Poesie neue Räume eröffnen möchte. ___
Quelle: LEIPZIG-ALMANACH (http://www.kunden-viosys.de) vom 22.5.2004
home * biography * choreographies * links * photographs * media * contact