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MIT TAMINO AUF DER GELBEN MÄRCHENSTRASSE
___ In Ordnung: Tamino liebt Pamina, Pamina liebt
Tamino. Kein Problem im Märchen - inklusive böser Fee und
gutem Zauberer. Das Liebespaar wird einige Prüfungen bestehen
und dank eines Zauberinstruments schließlich zueinander finden.
Alles wird gut. Ende ... ? ___
___ Genau besehen ist Mozarts Zauberflöte eine Anhäufung von trivialen Späßen und theatralischen Gemeinplätzen, deren gereimte Partien aus plumpen Knittelversen ab und an von freimaurerischen Gesängen abgelöst werden. Das alles wäre weiß Gott nicht spektakulär, ohne Mozarts Musik. Die aber haucht den Instrumenten und Stimmen Vielschichtigkeit ein sowie den sehnsuchtsvollen Atem des Menschlichen. Das ist das Geheimnis der vermeintlich schlichten Erzählung aus Sonnen-Symbolik, freimaurerischer Dreifaltigkeit und kindlichem Volkstheater. ___
___ VON BJÖRN MARZAHN ___
___ Verzweiflung
des Helden Tamino ___
___ Und
genau darauf baut die Inszenierung auf, denn Leipzigs Ballettdirektor
Uwe Scholz versuchte sich erstmals als Musiktheaterregisseur: Da stolpert
also Tamino (Erwin Feith) auf die Bühne, die Schlange und 17 Takte
Orchestereinleitung im Nacken. Dem allmählichen Crescendo entheben
sich musikalische Figuren, die die Verzweiflung des Helden zeigen. Bevor
aber Tamino mit "Zu Hilfe, zu Hilfe" in die selige Ohnmacht
fällt, hat der Zuschauer die Möglichkeit, das ganze Zauberflöten-Konzept
von Uwe Scholz zu erfassen, meisterhaft in ein Bild gebündelt.
___
___ Die
Bühne ist ein lichtdurchflutetes Rasenquadrat, darauf riesige Bauklötze:
gelb, blau, grün. Am Rande eine rote Papierschlange mit der freundlichen
Ausstrahlung eines chinesischen Flugdrachens: Es wird klar, das hier
ist Spielzeugland, "Toys 'R Us" erwacht zum Leben. Ein schöner
Spuk, bei aller Dramatik unernst, verspielt - wie Phantasie eben sein
kann - und in dessen zauberhafte Welt Tamino tappt.
___
___ Wie
bei Alice im Wunderland ___
___ Mit Bravour versteht es Scholz, nirgends abzugleiten in die profane Schräge des Kasperletheaters. Wundervolle Ideen entfalten sich nach und nach, verdichten das Bild zu einer Art "Gelbe-Straße-Erzählung" wie bei Alice im Wunderland. Daneben versäumt der Inszenator nicht, den immer wieder bis zur Fusseligkeit diskutierten Freimaurer-Aspekt bei Mozart anzudeuten, der Tamino vom Lehrling über den Gesellen zum Meister reifen läßt. Während sich hier die mystische Seite widerspiegelt, entläßt Scholz den Papageno als Gegenpart in den Distrikt des Urigen. Der mit dem Glockenspiel nistet sich nicht als bizarrer Vogelmensch auf der Bühne ein, sondern als quirliger Federballspieler. Ein Narr, einer, den man einfach mögen muß. Die berühmte Lieblingspuppe im Kinderzimmer. ___
___ Trivialszenen
als solche geoutet ___
___ Eine
Gefahr hat all der Trickbuden-Hokuspokus: die, daß die Musik im
Bilderstrudel ersäuft. Das umgeht Ballett-Scholz sehr fein, indem
er die zahlreichen Trivialszenen einfach als solche outet und den Schabernack
mit seiner eigenen Profession betreibt: Sarastros Schergen tanzen, ausstaffiert
wie Zinnsoldaten, unbeholfen CanCan; Papageno zittert vor Angst mit
den Hack-Bewegungen, die die Ninja-Turtles bei ihren Kämpfen zelebrieren.
Die Königin der Nacht, eine Megäre im silbernen Gucci-Gewand,
klabautert sich wie auf einem Spielzeugkran in die Manege ... Scholz
kann sehr witzig sein. ___
___ In
den wesentlichen Momenten allerdings zieht er sich vorsichtig zurück.
Wenn Tamino die Liebe entdeckt ("Dies Bildnis ist bezaubernd schön"),
steht da jemand allein, den ein unbekanntes Gefühl ergriffen hat.
Wenn Pamina, von Selbstmordgedanken geschüttelt, den Schmerz der
Liebe entdeckt ("Dem Wahnsinn nah"), dann sind das Augenblicke
sinnlichen Erlebens, die Raum und Zeit finden in der Musik. ___
___ Kinderland
und Supermarkt treffen sich ___
___ Daß
sich viele Requisiten einer Deutung verweigern, ficht Scholz nicht an.
Wenn Werbeschilder von Erdal, Milka und Cornflakes am Himmel dräuen,
treffen sich Kinderland und Supermarkt. Wenn aber im Innersten des heiligen
Tempels die Säulen eine verwegene Mischung aus Cocktailglas und
Schöller-Eisbecher darstellen, entzieht sich das jeder sinnvollen
Deutung. Die Frage ist berechtigt, ob sich Scholz von der Bühnenbildnerin
inspirieren ließ oder umgekehrt. ___
___ Oft greifen Bild, Szene und Musik ineinander, als wollten sie eine Liebeserklärung an das Märchen verwirklichen, das seine Strahlkraft durch die Musik findet. Hinreißend gelungen. ___
Quelle: http://www.leipzig-life.de/ LVZ vom 11.Juni 1997
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