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DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNHEIT IM ANGESICHT DER GEGENWART
___ Dieses Bild darf, ja muss man als Inszenierung lesen: Uwe Scholz an der Stange im Ballettsaal, lässig hingelehnt und mit einem maliziösen Lächeln auf den Lippen. Im Rücken aber wartet der Spiegel, den jeder Tänzer zur Korrektur der Haltung braucht - und darin das Bild eines Solisten, der mitten im Sprung erstarrt scheint. ___
___ Das
Foto entstand 1998, als der Choreograf Uwe Scholz gerade seine "Große
Messe" vollendet hatte - und noch nicht ahnen konnte, dass dieses
Werk für fünf lange Jahre seine letzte vollendete Arbeit
an der Oper Leipzig bleiben würde. Erst im vergangenen Jahr hat
er in einem letzten Aufbäumen Igor Strawinskys "Sacre du
Printemps" gleich zweimal - als Solo und für die Compagnie
- inszeniert, wenig später sah er sich selbst als ein solches
"Frühlingsopfer" im Finanz-Streit um die Zukunft seines
Ensembles und der Ballettschule. Am Sonntag ist Uwe Scholz gestorben.
___
___ ANDREAS HILLGER ___
___ In der Person dieses Künstlers, der 1958 im Hessischen geboren wurde und bereits als 18-Jähriger seine erste Choreografie "Serenade für 5+1" für die Stuttgarter John-Cranko-Akademie schuf, fanden die Faszination wie die Probleme des Balletts ihre Entsprechung. Einerseits stand Scholz fest auf dem Boden einer klassischen Tradition, die immer wieder aus sich selbst schöpft und Erneuerung nur zögernd wagt. Andererseits wusste er um die Erwartungen eines Publikums, das seiner eigenen Gegenwart begegnen will und in historischen Libretti bestenfalls Nostalgie erkennt. ___
___ Nie
wurde diese Zerreißprobe deutlicher als im "Sacre",
wo der Choreograf seinen Solisten zunächst zwischen Toilettenbecken
und Blutdusche aussetzte. Obsessiv stellte Uwe Scholz hier dunkle Seiten
des Begehrens zur Schau, um sie danach in neoklassischen Gruppen-Bildern
zu relativieren - eine Buße auf höchstem Niveau, aber ohne
Hoffnung auf Vergebung. ___
___ Hinzu
kam - spätestens seitdem Scholz 1991 die Leitung der Leipziger
Compagnie übernommen hatte - die Schizophrenie zwischen dem unbedingten
künstlerischen Anspruch und dem nötigen kulturpolitischen
Kalkül. Der erfolgsverwöhnte Mann, der seine Tänzer-Karriere
als 22-Jähriger zugunsten seiner Choreografen-Laufbahn aufgegeben
hatte, musste im Laufe seiner Amtszeit die Reduzierung seines Ensembles
von 57 auf zuletzt geplante 40 Stellen hinnehmen. ___
___ Seit
dem Abschied seines Intendanten-Freundes Udo Zimmermann halfen Scholz
in diesen Abwehr-Schlachten auch Sätze wie "Ballett ist das
Beste, was einem Theater passieren kann" nicht länger. Er
stand mit dem Rücken zur Wand - doch da war keine Stange mehr,
an der er Halt finden konnte. ___
___ Zuletzt
hatten sich der Opernhaus-Intendant Henri Maier und sein Chefchoreograf
im Sommer auf eine Auszeit geeinigt, um Wege aus der wechselseitigen
Vertrauenskrise zu suchen. Seither war Scholz in Leipzig nur durch sein
Werk präsent. Das soll er auch künftig bleiben, versicherte
Maier am Dienstag erschüttert. Am 3. Dezember wird es eine Trauerfeier
geben, bei der man Musik spielen wird, die Scholz liebte. Klänge
von Mozart, mit dem man ihn in besseren Tagen verglich, werden gewiss
dabei sein. ___
MITTELDEUTSCHE ZEITUNG, 23. NOVEMBER 2004
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