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Scholz-Gedenken par excellence im Opernhaus
___ Mit tosendem Applaus feierte das Leipziger
Publikum am 19. November im Opernhaus die äußerst gelungene Wiederaufnahme
der Bach-Kreationen. Das Opernhaus würdigt und gedenkt damit dem vor
einem Jahr verstorbenen Genius des Leipziger Balletts, Uwe Scholz (Inszenierung,
Choreographie, Bühne, Kostüme). ___
___ VON CAROLINA FRANZEN ___
___ In den Bach-Kreationen werden drei Werke Johann Sebastian Bachs szenisch getanzt. Mit unterschiedlichen Konzepten tänzerischer Darstellung von Musik und Sprache ziehen sie den Zuschauer in ihren Bann: diese Aufführung ist eine einzige Steigerung. ___
___ Teil I ist das "Brandenburgische Konzert
Nr. 3". Die Bach-Kreationen beginnen mit einem gesanglosen, rein instrumentalen
Stück. Die Tänzer stellen hier in klassischen Figuren polyphone
Strukturen von Musik dar, zeigen eher nüchtern in einer Gruppe von
sechs Paaren den Aufbau von Musik symmetrisch, schematisch, logisch. Partner
ergänzen sich, stellen als Paar ein Gefüge, einen Komplex dar,
der sich wiederum in den Gruppenzusammenhang einfügt und einzugliedern
hat. Den Themen sind bestimmte Figuren so zugeordnet, dass man diesen Tanz
als Klärung der Musik für den Betrachter verstehen kann - ihre
Muster werden aufgedeckt, Vielstimmigkeit und Gefüge dargestellt.
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___ Teil II ist Kantate BWV 51, "Jauchzet
Gott in allen Landen". Die Steigerung ist unüberhörbar: bisher
"nur" konzertant, wird die Musik jetzt um die Dimension der Stimme
erweitert. Auf der Bühne wird die Vokalsolistin von einer Solotänzerin
vertreten, während die Instrumente hinter ihr entsprechend in Tänzergruppen
aufgeteilt sind. Diese agieren hinter farbigen (blau, gelb, rot, violett)
Folien. Sie beziehen sich figürlich auf die Solistin, das Hauptthema,
bleiben aber in abgetrennten Feldern. Die Solistin tanzt frei, auf dem vorderen
Bühnenteil, im grauen Kleid - sie macht Stimmung und Gefühl, Staccato
und Legato, im Ausdruckstanz, modern wie klassisch, durch gebunden-weiche
wie verzweifelt-zuckende Bewegungen deutlich. Nicht mehr nur analytisch,
wie im ersten Teil, jetzt kommt auch eine Betonung des Gefühls hinzu.
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___ Teil III ist Kantate BWV 21, "Ich hatte viel Bekümmernis". In voller Schönheit und Vielseitigkeit wird jetzt ein Zusammenspiel von Instrumental, Gesang und Tanz gezeigt. Es singen nun vier Solisten, vom Solo bis zum Quartett, ergänzt von Chorpartien des Thomanerchors. Tänzerisch wird die Darstellung komplex, edel und durchdringend, denn die Übertragung von Musik in Tanz ist vergeistigt. Dargestellt wird nicht der Umfang oder das Schema von Musik, wie bisher, sondern ihr Inhalt, das Gefühl, das Zerwürfnis der sehnenden Seele mit sich selbst, wie mit Gott, wie es der Bach´sche Text ausdrückt. Verzweifelte Hoffnung auf Befreiung wird dargestellt. Beeindruckend, überraschend und virtuos ist die Choreographie. Vielseitig zeigt sie ihre Ausdrucksmöglichkeiten in Gruppen-, Paar- und Solotänzen. Im Licht-Schattenspiel vereinen sich Silhouetten, werden Kreise geschlossen, Tänzer zusammengefügt. Scholz holt einen Sänger auf die Bühne und lässt den Solotanz um ihn herum und scheinbar direkt mit ihm im Zwiegespräch aufführen. Bühne und Tanz wirken, entsprechend der musikalischen Komposition, klar, rein und heilig. Mit Pauken und Trompeten huldigt der Schlusschor, in Worten aus der Offenbarung Johannis, dem allmächtigen Gott. Er bewegt durch seine Einfachheit: es wird nicht getanzt, die Tänzer legen nach und nach ihre Schuhe, wie eine Opfergabe, in die Mitte der Bühne - mehr nicht. ___
___ Die zu große Nüchternheit und
Eindeutigkeit, die sich dem Zuschauer im ersten Teil aufdringen kann, scheint
in der Entwicklung des Ganzen, in der Betrachtung des Gesamtkonzepts am
Ende unumgänglich. Das Erschauern, die Teilnahme im dritten Teil erreicht
den Zuschauer gerade weil die Aufführung mit einer eher nüchternen
Darstellung von Theorie beginnt. ___
___ Scholz' Bach-Kreationen sind ebenso phantasievoll
wie logisch durchdacht. In ihnen zeigen sich tiefes Empfinden und strenges
und wunderbares Formbewusstsein. Das Mulitalent Scholz zeigt noch Postum
seine künstlerische Fähigkeit zur Umsetzung. Wie seine Bach-Kreationen,
so darf sich auch die Interpretation der Inszenierung weiterentwickeln.
Denn ursprünglich war der Abschluss als Provokation gegen Sparmaßnahmen
der Stadt Leipzig gedacht; in der jetzigen Aufführung ist der "Gabenberg"
der Schuhe keine Provokation und auch nicht nur Gotteshuldigung - er ist
ein Dank, ein Gedenken an Uwe Scholz, dem die Tänzer ihr Talent zu
Füßen legen. ___
LEIPZIG ALMANACH November 2005
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