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DER TANZ ALS EIN SINFONISCHES BILD

___ Ein letztes Mal, wie man heute weiß, ließ er sein Licht leuchten. Und einer Stichflamme gleich schoss noch vor Beginn der "Scholz Notizen 1" aus dem Orchestergraben ein Feuerstrahl hoch bis schier unter die Decke des Leipziger Opernhauses - um in sich zusammenzusacken, bevor der Ballettabend richtig angefangen hatte: kein Einfall um des bloßen Effektes willen, sondern ein szenisches Element, das die Ereignisse um den 11. September beschwören sollte. ___

___ VON HARTMUT REGITZ ___

 

___ Wer immer ihn im Nachhinein charakterisiert, wird sich dieser Szene erinnern. Denn Uwe Scholz, der am Sonntag im Alter von nur 45 Jahren in einem Krankenhaus bei Berlin gestorben ist, hat etwas von diesem Feuer, das aufflammend schon wieder erlischt. Sobald ihn eine Musik inspiriert, fackelt Scholz nicht lange. Doch bevor ihn der Brand völlig verzehrt, versucht er ihn wieder auszutreten, auch wenn er in ihm weiterschwelt - was ihm nicht zuletzt aus unberufenem Mund den Vorwurf eingetragen hat, er wäre seiner Arbeit nicht weiter gewachsen. Tatsache ist, dass viele Stücke Stückwerk bleiben. Oft genug ersetzt eine genial hingeworfene Skizze die bis ins choreografische Detail ausgefuchste Bühnenproduktion. ___


___ Ein "Nichts" urteilt nach der letzten Premiere vernichtend die Lokalpresse und löst damit eine Kettenreaktion aus, die Uwe Scholz möglicherweise den Rest gegeben hat. Seit Jahren krank, von vielen Hüftoperationen körperlich geschwächt, sieht Leipzigs Ballettdirektor am Ende seine Aufbauarbeit generell in Misskredit gebracht. Ohne die Rückendeckung eines Intendanten, ohne öffentlichen Schutz schwindet seine Kraft schnell dahin - im Kampf gegen die drohende Schließung der Leipziger Ballettschule, im Kampf gegen die Reduzierung seines Ensembles, im Kampf gegen einen Künstler, der oft genug an sich selbst verzweifelt. ___

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___ Dabei hat mit Uwe Scholz alles so viel versprechend angefangen. Am 31. Dezember 1958 im hessischen Jugenheim geboren, akzeptiert ihn noch kurz vor seinem Tod John Cranko als Eleve der Ballettschule der Württembergischen Staatstheater - und in seinem Namen startet der eher schmächtige Junge fünf Jahre später in Zusammenarbeit mit den Studenten der John-Cranko-Akademie mit der "Serenade für 5 + 1" eine Choreografenkarriere, die Marcia Haydée gleich mit der Übernahme seines "Opus 1" ins Repertoire des Stuttgarter Balletts krönt. Die damalige Ballettdirektorin ist es denn auch, die das "Wunderkind" mütterlich in ihre Arme schließt und als Tänzer in ihr Ensemble holt - obwohl Uwe Scholz in Stuttgart als Tänzer lange Zeit kaum in Erscheinung tritt. Erst Maurice Béjart entdeckt sein interpretatorisches Talent und besetzt ihn 1983 als Jacques Offenbach in "Gaîté Parisienne": ein wohl einmaliger Fall in der Ballettgeschichte, dass ein Choreograf noch vor dem Tänzer debütiert. Auf den gleichen Abend datiert übrigens auch eine Zusammenarbeit, die nicht ohne Folgen bleibt. Feuer und Flamme für Scholz, lässt sich Rosalie Bühnenbild und Kostümierung von "Variation - 1" nicht nehmen. Und welcher Abend es auch künftig ist, ein dreiteiliges Programm mit "prismen 4", "stabat mater" und "tausendflügler" wie 1984 in Stuttgart oder "Die Schöpfung" ein Jahr später am Opernhaus Zürich: der eine ist ohne die andere nicht mehr zu denken. Sich stimulierend, steigern sie sich gegenseitig in eine Gemeinsamkeit hinein, die in ihren besten Momenten so etwas wie ein Gesamtkunstwerk entstehen lässt - wenn hier der Tanz zum Raum wird und der Raum tanzt. ___


___ Zum "ständigen Choreografen" des Stuttgarter Balletts ernannt, stößt Uwe Scholz bereits 1982 an finanzielle Grenzen: "Finale 1058" heißt das Stück, das gleichzeitig eine Botschaft ist - das heißt, die letzte Choreografie, die er im Rahmen seines damaligen Tariflohns (in DM versteht sich) abzuliefern bereit ist. Weltweit begehrt, übernimmt der 26-Jährige 1985 die Ballettdirektion des Zürcher Opernhauses und produziert als "Chefchoreograf" eine Unzahl von Stücken, die sich heute mehr oder minder verändert im internationalen Repertoire wieder finden - darunter ein dreiteiliges Rachmaninoff-Programm und ein abendfüllendes Cranko-Ballett "Rot und Schwarz" zu Musik von Hector Berlioz. ___


___ Apropos Musik. "Was Scholzens Choreografien generell auszeichnet, ist ihre schier unerhörte Musikalität", schreibt Klaus Geitel ganz richtig in der Festschrift zum Deutschen Tanzpreis 1999. "Schritt für Schritt scheint die Musik, die zu seinen Arbeiten erklingt, sich beinahe zwangsläufig so und nicht anders zu artikulieren, als sie es tut." Bei Scholz, der schon in jungen Jahren an der Darmstädter Akademie für Tonkunst gleichzeitig Klavier- und Gesangsunterricht nimmt (und später auch noch Violine und Klavier studiert), wirft die Bühne, "durch einen künstlerischen Kraftakt sondergleichen, die Musik spiegelgetreu als klingendes sinfonisches Bild zurück". Das mag nicht jedermanns Geschmack gewesen sein, zumal in einer Zeit, in der sich der Tanz mehr und mehr der Musik verweigert. Aber Geitel ist schwer zu widersprechen, wenn er sagt: "Seit Balanchines avanciertesten Balletten hat es kaum eine vergleichbare Entsprechung mehr zwischen Choreografie und Musik gegeben, und es scheint mitunter sogar, als sei Scholz befähigt, in dieser Beziehung sogar über den Altmeister hinauszuwachsen." ___

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___ Dazu ist es nun nicht mehr gekommen. Auch nicht in Leipzig, wohin Uwe Scholz auf Bitten von Udo Zimmermann 1991 überwechselt. Er choreografiert zwar anfangs, was das Zeug hält, und macht aus einer kulturellen Ödnis tatsächlich eine blühende Landschaft. Aber der Feuergeist reibt sich dabei so auf, dass am Ende der Funke nicht mehr zündet. Bevor seine Kunst, wie von Geitel und anderen erhofft, aufs Neue entflammt, ist sie mit seinem frühen Tod erloschen. Die Ballettwelt trauert. ___

 

STUTTGARTER NACHRICHTEN VOM 24.11.2004

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