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WEN
DIE GÖTTER LIEBEN: ZUM TOD DES CHOREOGRAPHEN UWE SCHOLZ
___ Kaum ein anderer Choreograph in der Welt ist so jung zu Ruhm gekommen wie Uwe Scholz. Am 31. Dezember 1958 in Jugenheim an der Hessischen Bergstraße geboren, hat Scholz sein Tanzstudium an der Stuttgarter John Cranko-Schule und in New York an der School of American Ballet absolviert. Mit 18 schuf er, für eine Veranstaltung der Cranko-Schule, sein erstes Ballett, und mit 20, als Ensemblemitglied des Stuttgarter Balletts, hatte er feste ästhetische Vorstellungen: "Mein künstlerisches Ziel sehe ich darin, ein echtes zeitgenössisches Theater zu machen. Ich will versuchen, den durch Konvention, Routine und Phrase in vielen alten Balletten gebildeten Rahmen zu sprengen, aber nicht in der Form, wie das viele moderne Choreographen tun. Es ist kein Ziel für mich, eine neue Konvention, Routine und Phrase zu bilden durch das Extrem". ___
___ VON JOCHEN SCHMIDT ___
___ Zunächst choreographiert Scholz mehrere Einakter für die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft. Doch schon 1980, mit 21, schafft er seine ersten Stücke für die Stuttgarter Kompanie: "Schäferspiele" mit Musik von Mozart und "Das Märchen" mit Musik von Johann Strauß. Ein Jahr später ist er als Choreograph an der legendären Frankfurter "Aida"-Inszenierung von Hans Neuenfels beteiligt. ___
___ 1984
nahm Scholz einen Ruf zum Ballettdirektor der Zürcher Oper an -
und strafte damit Stuttgarts Ballettdirektorin Marcia Haydée
Lügen, die verkündet hatte: "Dieser Junge wird einmal
unser Choreograph werden". Zu diesem Zeitpunkt umfaßt Scholzens
Oeuvre-Verzeichnis bereit 56 Titel. In Zürich zielt er von Anfang
an denkbar hoch. Er startet mit seinem ersten abendfüllenden Ballett,
einer Choreographie zu Haydns Oratorium "Die Schöpfung",
bürdet die interpretatorische Last dabei allerdings vor allem der
Musik und dem Bühnenbild der Malerin Rosalie auf. ___
___ Doch
die Doppelaufgabe, eines der großen Ballettensembles des Kontinents
zu leiten und ihm ständig neue erstklassige Choreographien zu liefern,
überfordert den noch nicht einmal Dreißigjährigen. Scholz
gerät in eine erste persönliche und künstlerische Krise
und greift zur Flasche. Udo Zimmermann, der in der Folge etwas wie eine
Vaterfigur für Scholz werden soll, wirft ihm einen Rettungsring
zu und engagiert ihn, 1991, als Ballettdirektor an die von ihm geleitete
Oper in Leipzig. ___
___ Wie zum Dank choreographiert Scholz, recht pathetisch, Zimmermanns "Pax Questuosa" als "unglaublich zeitgemäßen Aufschrei des Pazifismus" (so Scholzens eigene Einschätzung), dem er Jahre später mit "Dans la Marche" ein weiteres Zimmermann-Ballett folgen läßt. ___
___ Die
Leipziger Jahre unter Zimmermann werden Scholzens - auch künstlerisch
- glücklichste Zeit. "Die große Messe" mit Musik
von Mozart spaltet, 1998, Publikum und Kritik in zwei Lager: glühenden
Bewunderern stehen höhnische Verrisse gegenüber. Auch über
die doppelte "Sacre"-Choreographie im Frühjahr 2003 läßt
sich streiten. In seinen letzten Jahren choreographiert Scholz zunehmend
schwerere musikalische Kost; Bruckner wird zu seinem Lieblingskomponisten.
Doch da hat Scholz bereits stark mit Krankheiten zu kämpfen. Nicht
nur die Psyche ist dem Druck nicht gewachsen; auch der zierliche Körper
revoltiert. Noch nicht 40-jährig bekommt der Choreograph zwei künstliche
Hüftgelenke. Immer wieder einmal steigt er aus dem Arbeitsprozeß
aus. ___
___ Als
Zimmermann dann den Ruf an die Deutsche Oper Berlin annimmt und seinen
Ballettdirektor und Chefchoreographen in Leipzig zurückläßt,
nehmen mit dem wachsenden Druck auf Scholz auch dessen Ausfälle
zu. Über der Ankündigung des Choreographen, sich bei einem
Sabbatjahr physisch und psychisch erholen zu wollen, kommt es zu unschönen
Auseinandersetzungen mit dem Theater und der Stadt Leipzig. Das alles
geht nicht spurlos an dem Choreographen vorüber. Schon am letzten
Sonntag ist er, wie sein väterlicher Freund Zimmermann mitteilt,
nach schwerer Krankheit in einer Berliner Klink gestorben, 45 Jahre
alt. Wen die Götter lieben, den holen sie früh zu sich. ___
DIE WELT, 24. NOVEMBER 2004
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